Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!

Rezension aus Deutschland vom 27. April 2016
Ein Buch, das ich schon seit einer Ewigkeit lesen wollte - nun bin ich endlich dazu gekommen - "Die Waffen nieder", der berühmte Roman der österreichischen Pazifistin Bertha von Suttner, mit dem sie ihre kriegsbegeisterten Zeitgenossen aufrütteln wollte.

Die Autorin
Bertha von Suttner wurde 1843 in Prag geboren und stammte aus einer tschechischen Adelsfamilie. Sie führte lange das typische Leben einer höheren Tochter und lebte in gehobenen Verhältnissen - bis das Vermögen der Familie aufgezehrt war und sie - Schande - mit Ende 20 noch nicht verheiratet war. Sie war eine oberflächliche junge Frau, bis sie schließlich Geld verdienen mußte und anfing, sich für Politik zu interessieren. Ihren interessanten Lebensweg detailliert zu schildern, würde den Rahmen eines Buchberichtes allerdings sprengen. Nur soviel: Sie entwickelte sich zur überzeugten Pazifistin, erhielt den Friedensnobelpreis (der Stifter Nobel war ein Freund von ihr) und erreichte einen riesigen Erfolg mit ihrem Roman "Die Waffen nieder". Die Autorin starb 1914, ein paar Wochen vor dem Ausbruch des 1. Weltkrieges, vor dem sie immer wieder gewarnt hatte. Man ist versucht, die Floskel "Gut, daß sie das nicht erleben mußte" zu äußern - wenn es bloß nicht so abgedroschen klingen würde. Richtig war auch Bertha von Suttners Prognose: „Der nächste Krieg wird von einer Furchtbarkeit sein wie noch keiner seiner Vorgänger.“
Die Waffen nieder
"Die Waffen nieder" erschien erstmals 1889 in Dresden und galt (laut Wikipedia) bis zum Erscheinen von "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque als bedeutendstes Werk der Antikriegsliteratur. Ich selbst habe das Buch weder gekauft noch ausgeliehen; dank des erloschenen Urheberrechts kann es im Internet gelesen werden. Die Druckvorschau meines Computers ergab eine Seitenzahl von 269.

Die Handlung
Die Autorin hat bewußt einen Roman und kein Sachbuch geschrieben, weil sie glaubte, damit ein breiteres Publikum zu erreichen. Ich hatte einen zähen Wälzer befürchtet, aber es las sich eigentlich sehr flüssig; etwas langatmig ist nur ein Abschnitt, der überwiegend aus Briefen besteht.
Hauptfigur ist die Wiener Gräfin Martha Althaus (Ich-Erzählerin, die gelegentlich aus den vergilbten Tagebüchern ihrer Mädchenzeit zitiert). Dargestellt werden vier Jahrzehnte in Marthas Leben (1859 - 1889), in denen vier Kriege stattfinden.
Martha ist zunächst ein alltägliches junges Mädchen mit wenig Interesse am Weltgeschehen und heiratet Grafen Arno Dotzky. Die Ehe ist glücklich, und Sohn Rudolf wird geboren. Marthas Leben ist perfekt, bis 1859 der Sardinische Krieg ausbricht. Martha sorgt sich um ihren Mann und kann die Begeisterung und Zuversicht ihrer Umgebung nicht teilen - im Gegensatz zu ihrer spatzenhirnigen Freundin Lori. Lori ist eine gelungene Karikatur - herrlich oberflächlich, albern und dumm, ein echter "love-to-hate-character". Man nehme den folgenden Dialog:
L.: „Was mich anbelangt, so bin ich froh, daß dieser Krieg ausgebrochen, weil ich hoffe, daß sich mein Ludwig auszeichnen wird."
M.: „Hast Du kürzlich Nachricht erhalten,“ unterbrach ich. „Sind die Deinen alle heil?“

L.:"Ich bin ganz ruhig. Sowohl Ludwig als meine Brüder tragen geweihte Amulette..."
M.: „Wie stellst Du Dir denn einen Krieg vor, Lori, wo in beiden Heeren jeder Mann ein Amulett trüge? Wenn da die Kugeln hin und her fliegen, werden sie sich harmlos in die Wolken zurückziehen?“

L.: „Ich versteh’ Dich nicht. Du bist so lau im Glauben."
M.: „Warum beantwortest Du meine Frage nicht?“

L.: „Weil in ihr ein Spott auf eine Sache liegt, die mir heilig ist.“
M.: „Spott? Nicht doch … Einfach eine vernünftige Erwägung.“

L.: „Du weißt doch, daß es Sünde ist, der eigenen Vernunft die Kraft zuzutrauen, in Dingen urteilen zu wollen, die über sie erhaben sind.“
Das liest sich heute wie eine Satire - man kann sich kaum noch vorstellen, daß die Leute wirklich so gedacht haben.

Marthas Mann Arno fällt im Krieg. Martha findet keinen Trost darin, daß er als Held gestorben sei, und auch die Religion ist ihr keine Hilfe, denn sie ist wie gesagt "lau im Glauben", sehr zum Kummer ihrer Tante:
"Es galt übrigens in meiner Familie (...) als ausgemachte Sache, daß ich mich wieder vermählen würde. Tante Marie pflegte (...) nicht mehr auf den Verklärten anzuspielen, der „dort oben meiner harrte“, denn wenn ich in (...) mir einen zweiten Gatten angeeignet (...), so war dadurch die Gemütlichkeit des himmlischen Wiedersehens mit dem ersten stark beeinträchtigt."

LOL! Ich bin sicher, daß diese ironische Betrachtung religiöser Dogmen damals ähnliche Empörung ausgelöst haben dürfte wie die Kritik an Militär und Krieg. Selbst heute noch wären wahrscheinlich viele Christen in ihren religiösen Gefühlen verletzt - was ich allerdings nicht verstehe. Woher kommt sie, die Sonderstellung der Religion und der Respekt, der ständig eingefordert wird? Martha hat doch recht, wenn sie sagt, es sei gar kein Spott, sondern eine vernünftige Erwägung - und wieso darf man Unsinn nicht Unsinn nennen? Die Autorin erlaubt sich ebenfalls scharfe Kritik am Verhalten des Klerus: "'Eigentlich, es ist wahr,' bemerkte Tante Marie nachdenklich, „Sätze wie: Du sollst nicht töten – sollst nicht stehlen – liebe deinen Nächsten wie dich selbst – verzeihe deinen Feinden –' 'Gilt nicht,“ wiederholte Tilling. „Und diejenigen, deren Beruf es wäre, diese Sätze zu lehren, sind die ersten, welche unsere Waffen segnen und des Himmels Segen auf unsere Schlachtarbeit herabflehen.'"

Als ihr Sohn größer wird und Fragen stellt, lehnt Martha es ab, Lügen zu erzählen - wenn er nach dem lieben Gott etc. fragt, gibt sie die ehrliche Antwort, daß kein Mensch etwas darüber weiß.

Abgesehen von der Militär- und Religionskritik kommt noch ein dritter Punkt dazu, nämlich - Überraschung - die Stellung der Frau: Sie steht erst unter der Herrschaft des Vaters und dann unter der des Ehemanns - und hat nur eine Chance auf Unabhängigkeit: die Witwenschaft! So ist es kein Wunder, daß Martha bei aller Trauer auch ihre Freiheit genießt.

Martha langweilt sich bei dem leeren Geschwätz auf Bällen, sie will über Politik und Wirtschaft, über Literatur und Kunst reden wie die Männer - doch gehört es sich für eine Frau nicht, sich zu einer Herrengruppe zu gesellen. Und wenn sie es doch täte, wäre deren Unterhaltung ohnehin sofort beendet, und es hieße: "Ach, wie bezaubernd Sie aussehen, Gräfin..."

Martha wird zur überzeugten Pazifistin; auch ihren heranwachsenden Sohn Rudolf will sie nicht als Soldaten sehen. Sie heiratet erneut, und ihr zweiter Mann Friedrich Tilling teilt ihre Ansichten - obwohl er selbst Offizier ist - oder gerade weil er Offizier ist, denn die Schrecken des erlebten Krieges haben ihn aufgerüttelt. Der zweite Mann ist ein Seelenverwandter und Marthas große Liebe, doch ach...

... drei weitere Kriege in rascher Folge zerstören die Familie - die deprimierenden Einzelheiten zähle ich hier nicht alle auf, aber es kommt wirklich knüppeldick für die arme Martha, die Autorin erspart ihrer Heldin nichts.

Auch die letzten noch vorhandenen Illusionen über die Rechtfertigung eines Krieges verliert Martha: Anfangs, als Österreich an Preußens Seite kämpft, mildert noch die angebliche "Pflicht" zur Solidarität mit den "Brüdern" ihre Verbitterung - aber: "Hätte ich voraussehen können, wie zwei Jahre später diese ganze deutsche Verbrüderung in bitterste Feindschaft sich auflösen sollte (...), so hätte ich damals schon erkannt, wie ich das seither erkennen gelernt, daß die Motive, die als Rechtfertigung der Feindseligkeiten angeführt werden, nichts als Phrasen sind, Phrasen und Vorwände."

Spätestens hier fand ich das Buch sehr aktuell - Kriegsschwärmerei ist heute zwar seltener geworden, aber "Phrasen und Vorwände" in der Politik, angeblich hehre Ziele, während es in Wirklichkeit um etwas ganz anderes geht... das kommt einem doch bekannt vor! Ein Politiker, der sich NICHT hinter Phrasen versteckt, kommt in Schwierigkeiten - man denke an Horst Köhler, der zurückgetreten ist, nachdem er den Krieg mit Wirtschaftsinteressen in Zusammenhang gebracht hatte...

Die Schrecken des Krieges werden außerordentlich drastisch beschrieben - und nicht nur "normales" Kriegselend wird geschildert, sondern auch das, was man heute "Kriegsverbrechen" oder "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" nennt und was meilenweit entfernt ist von Gerede über Ruhm und Ehre... Nichts für zarte Gemüter, aber wahrscheinlich war eine so realitätsnahe Schilderung nötig, um gegen den damaligen Zeitgeist anzugehen.
Nebenbei erfährt der Leser auch noch eine ganze Menge über die Tagespolitik - das Rote Kreuz wird gegründet und die Genfer "Convention" vereinbart.

Ein spannender, lehrreicher Roman, der sehr viel Information über die Zeit enthält und den man m. E. kennen sollte.

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