Christine Gräfin von Brühl: Noblesse oblige: Die Kunst, ein adliges Leben zuführen

Rezension aus Deutschland vom 25. November 2011 (Amazon.de)

Kastengeist in Reinkultur, aber kein Grund zur Aufregung - so läßt sich meine Meinung zu diesem Buch am besten zusammenfassen.

Eigentlich wollte ich es gar nicht lesen, denn die negativen Rezensionen fand ich sehr abschreckend. Arroganz und Standesdünkel mag ich ganz und gar nicht und fürchtete daher, das Buch würde mich über Gebühr aufregen. Doch der Blick ins Buch, der auf Amazon möglich ist, sagte mir, daß es so schlimm nicht werden würde - also habe ich es bestellt.

Christine Gräfin Brühl schildert die Lebensgewohnheiten des Adels. Offiziell ist der Adel in Deutschland schon lange abgeschafft, der einstige Titel nur noch Teil des Nachnamens (in Österreich nicht einmal mehr das) - aber natürlich geben Familien nicht einfach von einem Tag auf den anderen ihren Lebensstil auf. Warum sollten sie auch?


Was haben Adlige also für Gewohnheiten? Sie leben, wenn es finanziell drin ist, auf Schlössern und Burgen, die zahlreichen Kinder werden streng (und geschlechtsspezifisch) erzogen, man redet einander gern mit Spitznamen an, der Jagdschein ist für Männer das höchste Lebensziel (na ja, fast), und Tanzen ist Pflicht. Sind Adlige reich? Nicht unbedingt, und Reichtum ist auch relativ - wer ein Schloß in Schuß halten muß, hat natürlich gewaltige Ausgaben, die einen Großteil des erarbeiteten oder geerbten Vermögens verschlingen dürften.

Der Grund für die Aufregung hier im Rezensionsbereich ist aber eher das was die Adligen NICHT tun: Sie meiden den Bürger wie der Teufel das Weihwasser - oder genauer gesagt: den Spießer!

Was alles spießig (oder "leutsch", wie es im Jargon des Adels heißt) ist, würde den Rahmen eines Buches sprengen. Eine kleine Auswahl: Enge Hosen, Haarefärben, Pantoffeln, Modeschmuck... Faustregel: Alles, was nachgemacht ist. Man sollte vielleicht noch hinzufügen: Alles, was bequem und praktisch ist. Tortenheber sind z. B. spießig, und ich fragte mich unwillkürlich, was ein Adliger zu Tortenhebern sagt, die einen "Schieber" eingebaut haben, mit dem man ein Stück Torte bequem auf den Teller schieben kann... Wahrscheinlich stehen ihm / ihr die Haare zu Berge!

Freundschaften oder gar Ehen mit Bürgerlichen sind verpönt. Jemanden ablehnen, weil er nicht den richtigen Stammbaum hat - ja, das ist arrogant, politisch unkorrekt und nicht besonders sympathisch. Die heftigen Reaktionen auf dieses Buch überraschen mich trotzdem, denn: Schaden die Adligen jemandem mit ihrer Lebensweise? Nehmen sie den bürgerlichen Zeitgenossen etwas weg? Hat irgendein Blaublüter politische Umsturzpläne, ist die Entmachtung des Parlaments und die Wiedereinführung der Privilegien geplant? Soweit ich weiß, kann man jede dieser Fragen mit einem Nein beantworten. Und deshalb besteht auch kein Grund zur Aufregung. Ich finde das Buch interessant!

Steckt hinter der Wut einiger Rezensenten vielleicht eher Neid? Denn um einiges kann man Adlige durchaus beneiden, z. B. um zweisprachiges Aufwachsen oder um die Möglichkeit, Hausarbeit und Kindererziehung an Personal zu delegieren. Aber eben nicht um alles, und vielleicht hält sich meine Empörung auch deshalb in Grenzen, weil ich auf keinen Fall so leben möchte, wie es in dem Buch geschildert wird.

Wie arrogant und politisch unkorrekt die Autorin persönlich ist, läßt sich schwer sagen. Sie beschreibt viel, kommentiert aber recht wenig, wie ich finde. Und sie hat auch mit einigen Regeln gebrochen, so hat sie z. B. nur zwei Kinder, wie der Klappentext verrät - und wie ein Stammbaum im Internet verrät, hat sie das Unmöglichde getan und einen Bürgerlichen geheiratet - der Name ihres Ehemanns (Henrik Schrader) klingt jedenfalls wenig hochherrschaftlich. So arg kann es bei ihr mit dem Standesdünkel nicht sein...

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