Alison Weir: Katherine Swynford

Diese Rezension erschien das erste Mal am 10. November 2010 auf Amazon.de.

Wer war Katherine Swynford? Ich bin eher zufällig im Akateeminen Kirjakauppa in Helsinki (eine Buchhandlung, die mich bei jeder Finnlandreise an den Rand des Ruins bringt) über dieses Buch gestolpert. Die Frau sagte mir gar nichts, wohl aber die Autorin Alison Weir. Da ich ein großer Fan dieser Historikerin bin, habe ich es mir gekauft; ein weiterer Faktor war die schöne Aufmachung des Buches. Es ist 2008 erschienen und hat 384 Seiten, bei Amazon ist es gebraucht für unter 2 Euro erhältlich.

Katherine Swynford (1350 - 1410) war die langjährige Geliebte und schließlich die dritte Ehefrau des englischen Herzogs John of Gaunt. Katherine ist lange tot, lebt aber weiter in ihren zahlreichen Nachfahren - es war interessant zu lesen, wer alles von ihr abstammt: Nicht nur fast alle gekrönten Häupter in Europa, sondern auch die fünf US-Präsidenten George Washington, Thomas Jefferson, John Adams, Franklin Roosevelt und George W. Bush, außerdem Winston Churchill und der Dichter Alfred Tennyson. Faszinierend, wer alles miteinander verwandt ist... wenn auch sehr entfernt. Und sie war eine Schwägerin des Dichters Chaucer.

Zweifellos eine interessante Figur, aber die Sache hat einen Haken. Diesen Haken beschreibt Alison Weir selbst - daß man nämlich so wenig über Katherine Swynford weiß: "She is famous, but little known." Es gibt kein gesichertes Bild von Katherine Swynford, kein einziges Wort von ihr ist überliefert, keine geschriebene Zeile von ihr erhalten (es steht nicht einmal fest, daß sie überhaupt lesen und schreiben konnte). Und dann eine Biographie über sie? Kann das gutgehen? Meine Antwort ist ein entschiedenes "Jein"!

Nahezu jede Seite in Alison Weirs Arbeit wimmelt von "maybe", "perhaps", "probably", "possibly", "likely", "This suggests that...", z. T. finden sich mehrere dieser Einschränkungen in einem einzigen Satz! Wenn man alle Spekulation abziehen und sich auf das beschränken würde, was wirklich zweifelsfrei gesichert ist - dann bliebe nicht viel übrig.

Trotzdem enthält Weirs Werk sehr viele Fakten und Informationen, vor allem über das England des 14. Jahrhunderts.

Katherine lebte in düsteren Zeiten - zwischen England und Frankreich herrschte Krieg, und die Pest wütete in Europa, ganze Landstriche waren entvölkert. Zum Teil konnten die Toten nicht einmal ordentlich beerdigt werden, weil soviele Geistliche und Totengräber ebenfalls der Seuche erlegen waren! Die Ursachen der Krankheit waren noch nicht bekannt, die Epidemien müssen für die Betroffenen aus heiterem Himmel gekommen sein. Das Entsetzen und die Furcht der Menschen fanden ihren Ausdruck in der Kunst - der Malerei und der Literatur. Boccaccio schildert die Flucht vor der Pest, Dante eine Jenseitsreise, und Grabmale weisen makabre Details auf.

Katherine (Mädchenname: de Roet) war keine Engländerin, sondern Flämin. Nach England kam sie, weil ihr Vater in Diensten des englischen Königs stand - vielleicht durch Vermittlung der Königin, die ebenfalls Flämin war. Der Titel "Katherine Swynford" ist im Grunde ein Bauernfänger - der Untertitel "The Story of John Gaunt and his Scandalous Duchess" trifft es schon eher. Im Vordergrund stehen Katherines Geliebter John of Gaunt (1340 - 1399) und sein Familienleben, und praktischerweise hat Katherine fast zu Johns Familie gehört - lange, bevor die beiden Paar wurden - , denn sie war eine Hofdame von Johns Mutter Philippa und seiner ersten Frau Blanche (in dem Buch kommen vier Philippas und fünf Blanches vor, man muß aufpassen, sie nicht durcheinanderzubringen). Wenn man den Quellen glauben darf, hatte diese Familie viele sympathische Mitglieder - John selbst und seine erste Frau zum Beispiel; die Ehe der beiden soll sehr glücklich gewesen sein, ebenso die Ehe seiner Eltern. Ich halte die geschilderte Harmonie für durchaus glaubwürdig, denn Alison Weir ist gründlich und neigt nicht zu verklärter Darstellung. Für den berühmten "Schwarzen Prinzen", Johns Bruder Edward, findet sie sehr kritische Töne. Sie schildert die Grausamkeit, zu der der junge Mann fähig war, und stellt fest, daß er den Beinamen "Black Prince" vielleicht nicht nur seiner schwarzen Rüstung verdankt, sondern auch den dunklen Seiten seines Charakters.

Auch Katherine selbst heiratete zunächst anderweitig, einen gewissen Hugh Swynford ("Swynford" war ursprünglich ein Ortsname und entspricht dem deutschen "Schweinfurt"), der zwar guter Herkunft, aber nicht sehr reich war. Über die Ehe der beiden ist so gut wie nichts bekannt - man weiß nicht einmal genau, wieviele gemeinsame Kinder sie miteinander hatten - , aber Alison Weir umschifft diese Klippe geschickt und schildert einfach das übliche Leben der Frau eines kleinen Adligen im 14. Jahrhundert. Hier erfährt man auch einiges über den damaligen Alltag in England und die Bevölkerungsstruktur - die Stadt Lincoln war bedeutend wegen ihrer hohen Einwohnerzahl von ca. 3000 Leuten - heute nur noch die Größe eines Dorfes. Auch wird deutlich, daß die Landkarte Europas noch eine andere war - z. B. bestanden enge Verbindungen zwischen England und Frankreich, die leider - wegen der Thronfolge - zum Hundertjährigen Krieg zwischen den beiden Ländern führten. Am englischen Königshof und generell in der Oberschicht wurde Anglonormannisch gesprochen, es war auch die Sprache der Literatur. Erst Chaucer machte (Mittel-)Englisch zur Literatursprache und gilt als Vater der englischen Literatur.

Tragischerweise starb John of Gaunts erste Frau Blanche sehr jung - mit 26, an den Folgen einer Geburt oder an der Pest; vielleicht kam auch beides zusammen. Bei dieser Gelegenheit gibt Alison Weir dem Leser einen Einblick in Chaucers Dichtkunst, denn Chaucer hat die Trauer des Ehemanns in Versform zu Papier gebracht. Wahrscheinlich wurde eine verstorbene Herzogin immer von Dichtern besungen, aber Chaucers Schilderung hat doch etwas sehr Authentisches. "Pale and green" soll das Gesicht des trauernden John gewesen sein, aber ach, die Politik nahm keine Rücksicht auf private Gefühle. Der Witwer mußte wieder heiraten, und zwar bald.

Johns zweite Ehe war dagegen unglücklich - bereits kurz nach der Heirat wurde Katherine (mittlerweile WItwe) Johns Geliebte. Man kann es sicher verstehen, daß sich ein unglücklich verheirateter Mann anderswo Trost geholt hat - nur, und darauf geht Alison Weir m. E. nicht angemessen ein, die betrogene Ehefrau hatte diese Möglichkeit eben nicht. Sie mußte ihr Schicksal mit Haltung tragen, und die Autorin zeigt recht wenig Mitgefühl für die gedemütigte Konstanze von Kastilien ... immerhin mußte sie auch dabei zusehen, wie Katherine und John vier gemeinsame Kinder bekamen.

Die Familienverhältnisse sind übrigens, wie oft in Büchern dieser Art, ein heilloser Wirrwar - Katherine und John konnten wirklich sagen: "Meine Kinder, deine Kinder, unsere Kinder", denn beide hatten sowohl gemeinsame Kinder als auch welche aus vorigen Ehen. Eine echte Patchwork-Familie also, und die vielen Namensgleichheiten machen es nicht leichter (vier oder fünf Männer heißen Edward, fünf Frauen Blanche und vier Philippa, man muß aufpassen, daß man nicht durcheinanderkommt). Aber dafür kann man keinen Stern abziehen, weil es nicht die Schuld der Autorin ist - glücklicherweise befinden sich im Anhang mehrere Stammbäume. Patchwork-Familien scheinen damals mindestens ebenso häufig gewesen zu sein wie heute.

Nach dem Tod der ungeliebten Ehefrau konnte John konnte seine Katherine heiraten (ein ungewöhnlicher Schritt, kaum ein Fürst hat seine Geliebte geheiratet). Die vier Kinder wurden legitimiert, und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage... wenn man Alison Weirs Interpretation glauben darf, was ich wie gesagt tue, auch wenn das Familienglück hier manchmal etwas zu vollkommen erscheint.

Vier Sterne für die Fülle an interessanten Informationen über das mittelalterliche England und John of Gaunt, für das Bildmaterial und die große Arbeit, die sich die Autorin mit der Interpretation der spärlichen Fakten über Katherine Swynford gemacht hat.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Elke Sauer: Ist das mein Kind?

Enid Blyton: Wirbel in Klasse 2 / Second Form at Malory Towers (Band 2)

Alexander Horn: Die Logik der Tat - Erkenntnisse eines Profilers